Völkische Bewegung

Die deutschvölkische Bewegung in der Habsburgermonarchie und ihre sektiererische Flucht in graue Vorzeit

Seit dem Jahr 1887 förderte Georg von Schönerer (1842-1921) gemäß seiner Parole, dass »uns Deutschen« der »germanische Heldenglaube« zweifellos mehr zu gelten hätte als die Weltanschauung der »jüdischen Erzväter«, eine sektiererische Form des Antisemitismus, welche mit germanophiler Mythenbildung und Esoterik unterlegt wurde. In Anlehnung an die Schlacht von Noreia (113 v. Chr.) und dem dortigen Sieg der »Teutonen« und »Kimbern« über die römische Truppe wurde eine „Zweitausendjahrfeier germanischer Geschichte« ins Leben gerufen, welche im darauf-folgenden Jahr auf der Burgruine Aggstein stattfand (vgl. Hamann 1996: 347, 350; Pulzer 1966: 170; Wladika 2005: 191).

Dabei wurde versucht, in Anlehnung an Schönerers Germanenverehrung, ein Revitalisierungsprogramm »altgermanischen Brauchtums« durchzusetzen. Mit teilweise den aufblühenden Lebensreformbewegungen nahekommenden Forderungen wollte Schönerer eine Art völkische Ersatzreligion als Alternative zum staatlichen Katholizismus kreieren, wobei bei ihm nach 1887 auch der Protestantismus immer wieder neben seinem »Heidentum« durchstach (vgl. Wladika 2005: 191-196).

Der christliche Kalender hieß für die »Schönerianer“ nun »Zeitweiser« und sollte mithilfe einer neu entwickelten »germanischen« Zeitrechnung vollständig umgewandelt werden, was nur in gewissen Teilen der eigenen Reihen Anklang fand. Die offiziellen Monatsnamen und katholische Namens- und Tauftage wurden in pseudo- bzw. »altgermanische« umbenannt, das »Sonnwend«-, »Ostara«- und das »Julfest« eingeführt. Zur Regenerierung der durch die katholische Kirche und ihren »finsteren Dienern« verängstigten Seele schrieb Schönerer dem „Naturglauben« eine heilsame Wirkung zu (vgl. Hamann 1996: 347f, 350; Pulzer 1966: 170; Wladika 2005: 191).

Bei den pseudogermanischen Monatsnamen handelt es sich um Hartung, Hornung, Lenzing, Oster, Mai, Brachet, Heuert, Ernting, Scheiding, Gilbhard, Neblung, Jul, wobei die Namen variieren konnten und mitunter auch »-mond« als Nachsilbe angehängt wurde.

Zunächst gab es nur die Kornblume als politisches Symbol der Deutschnationalen, doch mit dem Jahr 1887 eröffnete sich ein weites Betätigungsfeld, um eine neue Zeichensprache einzuführen. Der engere Kreis der »Schönerianer« versuchte sich in Lebensgewohnheiten, Kleidungsstil und Gehabe von den Mitbürgern zu unterscheiden. Der »Verwelschung der deutschen Sprache« und der »internationalen Verjudung« wurde die entschiedenste Feindschaft angesagt. Das Schlagwort »Durch Reinheit zur Einheit« fand ein propagandistisch weitgefächertes Anwendungsgebiet (vgl. Hamann 1996: 347ff; Wladika 2005: 192, 203, 234, 245).

Runenzeichen kamen neben „alldeutschen Kampfliedern« und bereits Swastiken in diesen »germanisch«-deutschvölkischen Kreisen zur Anwendung. Vor der Eheschließung sollten »deutsche« Paare ihre »arische Abstammung« und »biologische Gesundheit« prüfen und ihren protestantischen Kindern »germanische« Vornamen geben. Die Verhaltenskodizes der deutsch-nationalen Studentenverbindungen und völkischen Moralvorstellungen sollten zunehmend auf die gesamte Gesellschaft übertragen werden. Dabei stand »nationale Pflichterfüllung« auf dem Programm, um einen »Hort der Sittlichkeit« zu schaffen. Frauen sollten sich schlicht kleiden, »deutsche« Frisuren tragen und auf Schminke verzichten. Die Jugend sollte in »gewissenhafter Selbstzucht«, in Abstinenz von Nikotin und Alkohol, ihre Körper mit Turnübungen »stählen« und auch auf eine überwiegend vegetarische Ernährung umsteigen (vgl. Hamann 1996: 348f; Wladika 2005: 192).

Aus anderen Sprachen entlehnte Floskeln aus dem Lateinischen, insbesondere »Servus« oder »Prosit«, waren den selbst-ernannten »Germanen« besonders ein Dorn im Auge und sollten durch eigene Begriffe ersetzt werden. Seit dem Jahr 1891 wurde in Anlehnung an ein römisches Gedicht, in welchem »hails« als Trinkspruch »gothischer Helden« vorkommt, der »Heil«-Gruß geläufig und wurde im darauffolgenden Jahr von Schönerer als »geeigneter Gruß zwischen Deutschnationalen« offiziell eingeführt. Zudem ist im Turnergruß »Gut Heil« eine weitere Wurzel des nun in einem weiteren Umfeld Verbreitung findenden »Heil«-Gruß zu sehen. Von den Turnvereinen wurde auch die Einführung von Strafgeldern beim Gebrauch von Fremdwörtern übernommen (vgl. Hamann 1996: 347; Wladika 2005: 192).

Literatur

Hamann, Brigitte (1996): Hitlers Wien. Lehrjahre eines Dikators/ – München.
Pulzer, Peter G. J. (1966): Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867-1914/ – Gütersloh.
Wladika, Michael (2005): Hitlers Vätergeneration. Die Ursprünge des Nationalsozialismus in der k.u.k. Monarchie/ – Wien, Köln, Weimar.

 

»Hildebrand« schrieb gerne »Heribrand«. Manchmal hieß Hildebrand auch »Hildbrand« oder »Hiltgrant«. Nicht nur bei ihren Kosenamen zeigten sich die völkischen Agitatoren kreativ. Mit dieser Ansichtskarte findet sich ein früher Beleg für eine esoterisch unterlegte Angst vor »Rassenmischung«, welche im ausgehenden 19. Jahrhundert auch »Ariosophie« genannt wurde. Diese wurde vom Wiener Guido (von) List (1848-1919) ins Leben gerufen. Die »Mutter Germania« zeigt sich jedoch mit ihren teilweise bewaffneten Kindern durchaus gewappnet, muss aber auf der Hut vor dem »Wechselbalg« sein.

(Ansichtskarte: Künstler Hugo Stienitz, München: »Deutsch-völkischer Verein Odin«, München, No. 5/gelaufen am 8. April 1899 von »Heribrand« aus Neuzeug an Karl Kirsch, alias »Hiltgrant«, nach Mattighofen)

Bei dieser »Arier-Postkarte« vom Verlag von Dr. Winterstein aus Kassel bekundet Karl Kirsch alias »Hildebrand« sein Beileid bei Karl Buchta zum Verlust dessen Tochter: »Hoffentlich schenken Euch die Götter bald wieder neuerlich einen Germanensprossen! Heil Hildebrand.«
 
Ein Hauptproblem für deutschvölkische Kreise war, wie aus dem auf dieser Karte gedruckten Gedicht von Philipp Daab (1864-?) unterschwellig hervorgeht, dass die historischen Aufzeichnungen über die »Germanen« nicht weit genug zurückreichen, um eine »altgermanische Kulturhöhe« zu inszenieren. Auch fehlt es an Spuren außerhalb Europas, welche als »germanisch« interpretiert werden können. Deswegen musste der Arier-Mythos über die Nordthese in das völkische Konstrukt eingebunden und seiner indischen Wurzeln entkleidet werden. Nur wenn kulturelle Entwicklungen in Nordeuropa ihren Anfang genommen hatten, machte eine solche Sichtweise Sinn. Der »Germane« erschien dann als der zu seiner Zeit »reinste Arier«. Bereits in den 1850er-Jahren rief Arthur de Gobineau die These einer »arisch-germanischen Rassenaristokratie« ins Leben, doch hielt er noch an der asiatischen Herkunft der »Arier« fest. Dies stellte jedoch in der Folgezeit germanophile Altertumsforscher vor schwerwiegende Probleme, ein solches Ideengerüst zu belegen.
 
Zur Realpolitik der Deutschnationalen empfehle ich das in der Literaturliste angegebene Werk von Michael Wladika sowie meine Diplomarbeit.
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