Alltagsrassismus

»Die Leute müssen ja auch mal lernen, dass sie sauber werden.« – aus einer Rede vom deutschen Bundespräsidenten Heinrich Lübke (1894-1972) bei einem Staatsbesuch in Madagaskar über die madagassische Bevölkerung im Jahr 1966

Auf dieser Nähmaschinen-Werbeansichtskarte spielt der rassistische Haupttopos des 19. Jahrhunderts, nämlich der einer dilettantisch-unvollendeten »Nachahmung«, die Hauptrolle.

Dieses Stereotyp hatte insofern einen realen Hintergrund, als im kolonialen Kontext tatsächlich kolonialisierte Individuen und bestimmte Gruppen versuchten, unter dem aufoktroyierten Herrschaftsgefüge über Imitationen europäischer Standards oder dem was dafür gehalten wurde, an Prestige zu gewinnen. Teilweise kam es dabei zu einem aus europäischer Sicht grotesk anmutenden semiotischen Wirrwarr als eine Art Zeichensprache von Statussymbolen und Verhaltensweisen unterschiedlicher Herkunft.

Im eurozentristischen Vorwurf des Dilettantismus liegt das Stigma. Neben unbewusster, geradezu automatischer Nachahmung als »sozialer Klebestoff«, für welche häufig der Begriff aus der Psychologie Mimikry benutzt wird, handelte es sich dabei auch um bewusste Anpassungsstrategien im neuen Herrschaftsgefüge. In einer Zeit, in welcher die eigenen Gesellschaftsstrukturen zerschlagen oder zumindest modifiziert wurden, geschah dies nicht nur, um den neuen Herrschern zu gefallen, sondern auch um sich neue Orientierungshilfen und Wertvorstellungen zu schaffen,

teilweise auch um gegenüber anderen Gesellschaften oder innerhalb der eigenen Gruppe, an Boden zu gewinnen.

Daneben wird auf dieser Ansichtskarte auch auf angeblichen »Kannibalismus« angespielt:

»Eingefangen, vorgeführt –
Mundloch schmunzelt schon:
Aber keck und ungenirt

Tritt er hin zum Thron.« 

aus: Schweinfurth 1874: 13

Die Azande wurden von Afrikareisenden erstmals Mitte des 19. Jahrhunderts im Gebiet des heutigen Südsudans angetroffen. Die bis ins 20. Jahrhundert geläufige abwertende Bezeichnung »Niam-Niam«, was so viel wie »Vielfraße« bedeutet, wurde vermutlich von den »Dinga«, welche sich selbst Jieng (Sing.: Muonjang) nennen, übernommen.

Bestimmt lief dem ein oder anderen oftmals von Krankheiten geplagten Afrikaforscher, der Angstschweiß herunter, wenn er zusätzlich zum Tropenkoller und daraus resultierenden Wahnvorstellungen, seinen Phantasien über sein mögliches Ende freien Lauf ließ. Schließlich wimmelte es auf dem von »Wildheit« geprägten »schwarzen Kontinent« in der eurozentristischen Wahrnehmung geradezu von »Menschenfressern«, eine »niedere Kulturstufe«, welche für Europa allenfalls in prähistorischen Zeiten gelten gelassen wurde. So landete man imaginär leicht im Kochtopf von Kannibalen und vergaß die tatsächlichen Gefahren und Unannehmlichkeiten, welche eine solche Reise mit sich brachte.

Wenn nun auch noch beispielsweise ein lokaler Schädelkult, fremd wirkende Bestattungsriten, rigorose körperliche Strafmaßnahmen oder ähnliche Gepflogenheiten im Dickicht des Regenwaldes auftauchten, fühlte man sich in seinen Angstvorstellungen bestätigt.

Als erster Wissenschaftler hat anscheinend der Marquis Oratio Antinori (1811-1882) auf einer Forschungsreise 1860/61 behauptet, die »Niam-Niam« seien dem Kannibalismus verfallen, wobei sie weder vor Greisen noch vor kleinen Kindern zurückschrecken würden (vgl. Kramann 2016: 94ff; Schweinfurth 1871: 138f).

Bei der Floskel »njam-njam« hinsichtlich des Anblicks oder Konsums von etwas besonders Leckerem handelt es sich vermutlich auch heute noch um ein unreflektiertes Erbe dieser Frühphase der Erschließung des Inneren des afrikanischen Kontinents.

Denkbar ist auch eine Querverbindung zum englischen »yummie« bzw. »yum-yum«, welches vielleicht schon aus der Zeit des portugiesischen und spanischen Sklavenhandels im westafrikanischen Fulbe-Wort für Essen bzw. Yams nyami seine Wurzeln hat. Darüber hinaus könnte die Begrifflichkeit etymologisch mit der Einführung der kantonesischen Yum Cha-Küche von im 19. Jahrhundert in die USA und nach Australien migrierenden chinesischen Arbeitskräften überlappen.

Als erste Quelle konnte ich in Verbindung mit einem Gaumenschmaus den Ausruf »Yummy! yummy! plenty belly full.« (Russell 1863: 188) in der Kriegsberichterstattung im Amerikanischen Bürgerkrieg von William Howard Russell (1821-1907) ausmachen, welcher diese Worte einem jungen Sklaven in den Mund legte.

Im Zeitalter des Rassenantisemitismus wurde eine solche »Gefräßigkeit« mit Anspielungen auf »Kannibalismus« auch auf die jüdische Bevölkerung übertragen. Selbst auf Ritualmordlegenden fußende Anschuldigungen kamen noch um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert vor Gericht (vgl. Poliakov 1988: 27).

In den Kolonien wurde dem Alltagsrassismus mitunter eine besonders groteske humoristische Note verliehen. Die Kolonisierenden aus Europa wurden nun zu imaginären Kannibalen und konsumierten »Negernasensalat«.

 

Hochzeits-Menu
Hocker & Kleinschmidt

Daressalaam 20. März 1910

  • Löwenschwanzsuppe mit Antilopenhirn
  • Frischer Wels mit Diamantenpurée
  • Gebratene Elephantenhaxen mit Sauerkraut
  • Wasserbocksteak mit Negernasensalat
  • Gebackene Heuschrecken
  • Eis à la Termite
  • Palmbutter & Wüstenkäs
  • Sandtorte

 

 

 

Die »Südsee« wurde bereits zur Spätzeit der Entdeckungsfahrten im 18. Jahrhundert Ausgangspunkt von exotisch-erotischen Phantasien europäischer Männer.

Zur Zeit der deutschen Einflussnahme kam hinzu, dass zahlreiche Kolonisatoren in Ozeanien aus dem im Vergleich zur Enge der preußischen Gesellschaft damals liberaleren Süddeutschland stammten und sich kaum vor erotischen Abenteuern fernab der »Heimat« scheuten (vgl. Dehnhardt/Oldenburg 2010: 18:55-25:20).

In Samoa im südwestlichen Pazifik sah der Alltag im Hinblick auf Segregationsmechanismen etwas anders aus als in den anderen Deutschen Kolonien. Die polynesische Bevölkerung galt im Gegensatz zur melanesischen als besonders ästhetisch, insbesondere selbstverständlich die Frauen.

Vor intimen Kontakten scheute man sich selbstverständlich nicht und ging mit mit einheimischen Frauen teilweise ehe-ähnliche Liaisonen ein (vgl. Dehnhardt/Oldenburg 2010: 20:18-21:14). Oft blieben die begehrten »Marzipanpüppchen mit Chocoladenüberzug« (Reitter-Welter 2014; Wiehler 2014) jedoch alleine mit dem Nachwuchs auf Samoa zurück wenn die Väter in ihre Heimat zurückkehrten (vgl. Dehnhardt/Oldenburg-Doku 2010: 21:14-21:35).

Die schon in der vorkolonialen Zeit ansässige Bevölkerung wurde gerne als »unsere neuen Landsleute« angesehen. Bemerkenswert ist die Bleistiftunterschrift eines »neuen Landsmannes« auf dieser Ansichtskarte, wie dies unterhalb der Signatur auch handschriftlich vermerkt wird. Dieser wurde auf der Samoa-Wanderausstellung im Rahmen einer sogenann-ten Völkerschau vorgeführt, um den Prämissen von Kulturmission und Kulturimperialismus gerecht zu werden und so seine Lernfähigkeit unter Beweis zu stellen.

Die polynesische Bevölkerung Deutsch-Neuguineas (Bimarck-Archipel, Kaiser-Wilhelmsland) wurde dahingegen als besonders »wild« und »archaisch« eingestuft. Genealogisch in die Nähe des afrikanischen »Negers« gerückt, galt sie wenn überhaupt als graduell erziehbar, stünde in der Steinzeit still und bliebe im Aberglauben verhaftet.

Ähnlich wie Großbritannien Australien gründete Frankreich im Jahr 1864 auf der Hauptinsel Neukaledoniens Grande Terre eine Strafkolonie (in den letzten Zügen bis 1922), um sozusagen seinen »Auswurf der Gesellschaft« zu entsorgen. Hier fand im Gegensatz zu dem vornehmlich im British Empire angewendeten Indirect Rule das im Universalismus der Französischen Revolution verwurzelten Direct Rule seine Anwendung. Traditionelle Herrschaftsstrukturen wurden dabei rigide zerschlagen und stattdessen Institutionen nach bürgerlich-französischem Vorbild geschaffen.

Ein weiterer Hauptgrund für die rapide Landnahme war jedoch die Entdeckung von hochwertigen Nickellagerstätten im gleichen Jahr. Mit der Niederschlagung der Pariser Kommune und des Kabylenaufstands in Algerien im Jahr 1871 erreichte der Export von Strafgefangenen seinen Zenit, dessen kritisches Potenzial zwar die Autorität der katholischen Mission herausforderte und deutlich schmälerte, aber auch demographisch den Landdruck auf die indigene Bevölkerung massiv erhöhte. Das melanesische Gesellschaftsgefüge basierte auf Landnutzungsrechten, so dass die Bevölkerung erbitterten Widerstand leistete, was 1878 in einen Guerillakrieg mündete, wobei sich die Bewegung militärisch unter großen Verlusten auf beiden Seiten geschlagen geben musste.

Durch den Siedlungsdruck und Brutalitäten hatte sich diese immer weiter ins unwirtliche, für Landwirtschaft ungeeignete bergige Landesinnere zurückziehen müssen, wo sie von ihren traditionellen Äckern samt den zugehörigen Bewässerungs-systemen, Handelswegen und Kultplätzen abgeschnitten waren. Die nun noch gesteigerte Landknappheit hatte zudem dazu geführt, dass sich die indigene Bevölkerung zunehmend in internen Rivalitäten aufrieb. In »Reservate« gepfercht, welche bis 1946 nicht ohne die Genehmigung der kolonialen Polizeibehörde verlassen werden durften. Im gleichen Jahr erlangten die Kanaken auf innen- und außenpolitischen Druck die französische Staatsbürgerschaft (vgl. Mückler 2012: 26f, 42, 59f, 154-158; Wolf 1992: 20f).

Bei der Bezeichnung »Kanaken« für die vorkoloniale Inselbevölkerung handelte es sich schon ursprünglich um ein Exonym (Fremdbezeichnung), welches von den Pionieren der offiziellen Kolonisation dem hawaiischen Wort für Mensch kanaka entlehnt wurde (vgl. Mückler 2012: 26; Wolf 1992: 20), um sämtliche nicht-europäische Gesellschaften des Pazifiks in einen Topf zu schmeißen. Heute benutzt die autochthone überwiegend melanesische Bevölkerung die Bezeichnung Kanak als Endonym (Selbstbezeichnung).

Das heute in Deutschland kursierende diskriminierende Schimpfwort »Kanake« kam in den 1960er-Jahren mit der Anwerbung von Gastarbeitern für Leute mit südländischem Aussehen auf.

 

aus: Horn/Schwechten 1895: 13

Neben den sogenannten »wilden«, »minderwertigen« und »tiefer stehenden Rassen«, welchen nach sozialdarwinistischer Lesart ein Aufstieg zur »Zivilisation« sowieso im Vorhinein verwehrt oder begrenzt blieb, kam der »semitischen Rasse« eine besondere Rolle zu. Moralisch angeblich zutiefst »verdorben« und körperlich äußerst »minderwertig«, könne sich der »Orientale« über eine speziell entwickelte Raffinesse an den »zivilisatorischen« Errungenschaften laben, indem die »weiße Rasse« mittels des »internationalen Finanzkapitals« einseitig ausgebeutet werden würde. Der »Jude« galt dabei als der »Verführer« schlechthin, welcher vor keinerlei »Rassenmischung« halt mache und so direkt oder indirekt für die »Vergiftung« des »arischen Blutes« verantwortlich gemacht wurde.

aus: Horn/Schwechten 1895: 10

aus: ebd.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Quellen

Dehnhardt, Sebastian/Oldenburg, Manfred (2010)-Doku : Das Weltreich der Deutschen (3/3): Abenteuer Südsee/ Broadview TV im Auftrag des ZDF: – https://www.youtube.com/watch?v=tIXF6IJ7LSs – [27.11.2017].

Horn, Siegfried [Illustr.]/Schwechten, Eduard (1895): Das Lied vom Levi. Mit Bildern von Siegfried Horn/ – Köln: Verlag der Antisemitischen Buchhandlung (Eduard Hensel).

Kramann, Günter (2016): Geographie und kolonialer Diskurs. Afrika im Fokus der geographischen Zeitschriften während der wilhelminischen Epoche/ – Berlin: LIT Verlag.

Mückler, Hermann (2012): Kolonialismus in Ozeanien/ – (Kulturgeschichte Ozeaniens, Band 3) – Wien: Facultas Verlags- und Buchhandels AG.

Poliakov, Léon (1988): Geschichte des Antisemitismus. Zwischen Assimilation und „Jüdischer Weltverschwörung“/ – (Band VII) – Frankfurt/M.

Reitter-Welter, Barbara (2014): Als die Deutschen von Püppchen auf Samoa träumten/  https://www.welt.de/regionales/muenchen/article125305509/Als-die-Deutschen-von-Pueppchen-auf-Samoa-traeumten.html – [04.08.2017].

Russell, William Howard (1863): My Diary North and South/ – Boston, New York, Cambridge: T.O.H.P. Burnham.

Schweinfurth, Georg August (1871): Dr. G. Schweinfurth’s Reise nach den oberen Nil-Ländern in: Mittheilungen aus Justus Perthes’ geographischer Anstalt über wichtige neue Erforschungen auf dem Gesammtgebiete der Geographie/ – (17. Band)Gotha: Justus Perthes: 11-16, 131-139.

Schweinfurth, Georg August (1874): Im Herzen von Afrika. Reisen und Entdeckungen im centralen Aequatorial-Afrika während der Jahre 1868-1871/ – (2. Teil) – Lepizig: F. A. Brockhaus/London: Sampson Low, Marston, Low, and Searle.

Wiehler, Stephan (2014): Südseepüppchen im Zoo/ http://www.tagesspiegel.de/berlin/fraktur-berlin-bilder-aus-der-kaiserzeit-suedseepueppchen-im-zoo/9931906.html – [04.08.2017].

Wolf, John W. (1992): Colonialism, Development and Urbanization and the World Capitalist Economy: An Examination of Suava, Fiji; Noumea, New Caledonia; and Port Moresby, Papua New Guinea/ – Portland State University.

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