Antisemitismus

 

Die Entstehung des Rassenantisemitismus in der Habsburgermonarchie

 

                                       
Seit Ende der 1870er-Jahre wurde Georg Ritter von Schönerer (1842-1921) zum Vorzeigepolitiker der Deutschnationalen. Als der Hauptprotagonist des Rassenantisemitismus in Österreich, welcher Mitte der 1880er-Jahre gegenüber dem Antislawismus in deutschvölkischen Kreisen überhand nahm, stellt er einen der geistigen Väter Adolf Hitlers dar.

 

 

 

 

Nach dem erfolgreichen Attentat auf den Zaren Alexander II. (1818-1881) durch eine nihilistische Gruppe suchten zahlreiche jüdische Flüchtlinge aus Galizien und Russland aus Angst vor den zunehmenden Pogromen in  Wien oder Berlin Zuflucht.

Der russische Innenminister Wjatscheslaw Konstantinowitsch von Plehwe (1846–1904) setzte es sich zum Ziel, von innenpolitischen Problemen auf eine drohende Umwälzung abzulenken. Dabei schob er der jüdischen Bevölkerung eine besondere Rolle zu und gab  den Schlachtruf heraus  »wir müssen die Revolution in jüdischem Blut ertränken«.

Seit Anfang 1882 bestand in Wien die Option einer Art Asylrecht für russisch-jüdische Flüchtlinge. Auf einen Antrag der Liberalen bei der Regierung wurde ihnen in der Gemeinde Wien eine kleine finanzielle Unterstützung gewährleistet. Von den »Schönerianern« gesammelte Unterschriftenlisten richteten sich in Form einer Petition sowohl gegen deren Niederlassung als auch gegen jeglichen Durchzug. Den »Ostjuden« wurde vorgeworfen, dass sie durch ihren angeblich »asozialen Charakter« selbst die Schuld an den Pogromen in Russland trügen.

Die »semitische Rasse« wurde zu den »Nomadenvölkern« gezählt, welche sowohl jetzt als auch in der Vergangenheit die Staatsgefüge »zersetzen« würden. Häufig wurden orthodox-jüdische Einwanderer als hausierende Bauchladenverkäufer dargestellt, welche als Agenten minderwertige Ware aus der Massenproduktion des angeblich ausschließlich »jüdischen Finanzkapitals« der aus »Nomaden im Wrack« bestehenden »goldenen Internationale« unter die Leute bringen.

aus: Horn, Siegfried [Illustr.]/Schwechten, Eduard (1895): Das Lied vom Levi. Mit Bildern von Siegfried Horn/ – Köln: Verlag der Antisemitischen Buchhandlung (Eduard Hensel): 26


Seit den 1870er-Jahren griff im Deutschen Reich eine moralische Bewertung der Art des Erwerbs um sich, welche zwischen einem durch Handwerk und Landwirtschaft hergestelltem »schaffenden« und einem durch Zwischenhandel, Banken und Spekulation geschaffenem »raffenden Kapital« unterschied. Hierin ist eine entscheidende Wurzel des nunmehr zunehmend mit »Rasse« argumentierenden Judenhasses zu sehen. In dieser Frühzeit des Antisemitismus wurde sogar mitunter die auf Ausbeutung beruhende, die Preise und damit auch die Löhne drückende industrielle Massenherstellung gegenüber den Profiten aus Geldgeschäften als »schaffendes Kapital« angesehen, welches erst durch die angeblich ausschließlich von »Juden« dominierten Banken und Börsen zu »raffendem Kapital« umgewandelt werden würde. Insbesondere die Bankiersfamilie Rothschild war dabei ein willkommenes Angriffsziel. In den diesbezüglichen Verschwörungstheorien wurde das »jüdische Finanzkapital« gerne als Lindwurm oder Drachen bezeichnet. Dieses Konstrukt war auch für die antisemitische Agitation in Österreich wie geschaffen, wobei Schönerer häufig als Drachentöter dargestellt wurde.

aus: ebd.: 27

aus: ebd.: 26

Den integrationswilligen jüdischen Einwandernden wurde laut deutschvölkischer Propaganda, wie auch anderen ins Land migrierenden Bevölkerungsgruppen, ein schneller Aufstieg durch staatliche »Übervorteilung« nach dem Motto »vom Tellerwäscher zum Millionär« prognostiziert. Gliederten sie sich nicht ein und blieben unter sich, galten sie als »rückständig«.

 

Rechtsanwälte und die Gerichtsbarkeit überhaupt galten als jüdisch oder zumindest »verjudet«. Als Repräsentanten des Römischen Rechts würden sie auf diese Weise das »Mark« des »deutschen Volkes« aussaugen. Dabei waren zahlreiche wortführende Antisemiten selbst ausgebildete Juristen.

 

 

 

 

 

Ein weiteres gängiges antisemitisches Vorurteil in der Habsburgermonarchie war deren angebliche Kontrolle der öffentlichen Meinung, da Journalisten mit jüdischen Wurzeln in der Wiener Presselandschaft häufig waren. Aus demagogischen Erwägungen folgerichtig bildete u. a. die sogenannte »Judenpresse« eines von Schönerers Hauptangriffszielen.
                                                                                                                                                                      

Der Angriff auf die »Judenpresse«

Verwunderlich ist es somit nicht, dass am 8. März 1888 eine Gruppe deutschnationaler Antisemiten um Schönerer nach einem abendlichen Wirtshausaufenthalt in das Redaktionslokal des Neuen Wiener Tagblattes eindrang, den Redaktionsmitgliedern drohten und eine Schlägerei anzettelten. Als Anlass für das militante Vorgehen wurde eine verfrühte Meldung über den Tod des schwer kranken deutschen Kaisers Wilhelm I. (1797-1888) genommen, worüber man sich bereits zuvor beim Saufgelage echauffiert hatte. Die »unverschämte Judenpresse« schrecke nicht davor zurück mit dem Tod des Kaisers, einem Hohenzollern, dem »Deutschesten aller Deutschen« Geschäfte zu machen (vgl. Fuchs 1978 [1949]: 182f; Pulzer 1966: 133; Urban 2002: 17; Whiteside 1981: 120f; Wladika 2005: 189, 209f).

Schönerer rief nach dem Eindringen in das Zimmer 9 des Redaktionslokals den Redaktionsmitgliedern zu: »Juden auf die Knie, Abbitte leisten!« Nachdem dieser Aufruf auf Hohn stieß, stimmten laut den Aussagen von Redaktionsmitgliedern auch einige seiner Anhänger im Chor auf diese Parole ein. Daraufhin soll Schönerer zur Gewalt aufgefordert und mit einem Stock gedroht haben. Die Redakteure betonten, dass sie mit Faustschlägen traktiert worden wären, wobei sie sich offensichtlich, entgegen der damaligen antisemitischen Auffassung, keineswegs als kampfunfähig erwiesen, sondern sich sehr wohl zu wehren wussten. Die zur Hilfe eilenden Arbeiter wurden von den Schönerianern als »Judenknechte« beschimpft.

aus: Rudolf, E.V. von (1942): Georg Ritter von Schönerer. Der Vater des politischen Antisemitismus. Von einem, der ihn selbst erlebt hat/ – München: Verlag Franz Eher Nachfolger: : 9.

Der Spediteur Weiss veranlasste die Hausbesorgerin, die Tore des Gebäudes zu schließen, so dass nur einem Bruchteil der Angreifer die Flucht gelang, ehe die Polizei eintraf. In der Folge kam es zu juridischen Verwicklungen, welche nach ergebnislos verlaufenden Gegenüberstellungen in einem Gerichtsverfahren mündeten (vgl. Pichl 1913: 463; Valentin 1970: 86, 88-100, 122, 124, 127; Whiteside 1981: 120f).

Der damals schon wohl beleibte Schönerer wurde am 5. Mai 1888 zu vier Monaten Kerkerhaft inklusive zwei Fastentagen pro Monat verurteilt, sein als Neuadeliger ohnehin gesellschaftlich vakanter Adelstitel wurde aberkannt und ihm für fünf Jahre seine bürgerlichen Ehrenrechte samt aktivem und passivem Wahlrecht entzogen. Am 20. August trat er seine Haftstrafe an (vgl. Pulzer 1966: 133; Urban 2002: 17; Wladika 2005: 213f).

aus: Rudolf, E.V. von (1942): Georg Ritter von Schönerer. Der Vater des politischen Antisemitismus. Von einem, der ihn selbst erlebt hat/ – München: Verlag Franz Eher Nachfolger: 23.

Der Angriff auf das Zeitungsgebäude bedeutete für Schönerer bei seinen Verbündeten aus benachbarten antisemitischen Lagern einen Prestigeverlust. Die Crème de la Crème der damaligen Wiener Antisemiten, bestehend aus dem späteren christlichsozialen Bürgermeister Carl Lueger (1844-1910) und dem Staranwalt Robert Pattai (1846-1920), welche zu diesem Zeitpunkt als »demokratische Radikale« den Vereinigten Christen angehörten, bekundete zwar mit dem Geächteten Solidarität, doch handelte es sich dabei eher um ein Lippenbekenntnis. Aufgrund ihrer Staatstreue war sie an keiner weiteren Zusammenarbeit interessiert.

Überschrift einer hetzerischen zeitgenössischen Flugschrift, gezeichnet von einem »reichsdeutschen Antisemiten«

Auch die gemäßigten Deutschnationalen, mit ihrer jetzt unter der Leitung von Otto Steinwender (1847-1921) stehenden Deutsche Nationalpartei distanzierten sich.

Ob nun Schimpf und Schande oder Mätryrertum überwog, ist schwierig festzustellen. Michael Wladika hat die ganze Aktion als Akt der »Selbstauflösung« dargestellt, während Albert Fuchs die in der Bevölkerung hinzugewonnene Popularität, insbesondere hinsichtlich der Ereignisse im Zuge der »Badeni-Krise« am Ende des 19. Jahrhunderts, betont hat (vgl. Fuchs 1978 [1949]: 183; Pulzer 1966: 133f; Whiteside 1981; 120f; Wladika 2005: 189f).

Literaturliste zum angeblichen »Justizmord«

Fuchs, Albert (1978 [1949]): Geistige Strömungen in Österreich 1867-1918/ – Wien: Löcker Verlag.

Pulzer, Peter G. J. (1966): Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867-1914/ – Gütersloh: Sigbert Mohn Verlag.

Urban, Otto H. (2002): „… und der deutschnationale Antisemit Dr. Matthäus Much“ – der Nestor der Urgeschichte Österreichs? Mit einem Anhang zur Urgeschichte in Wien während der NS-Zeit, 2. Teil in: Archaeologia Austriaca/ – (Bd. 86) – Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften: 7-43.

Valentin, Hellwig (1970): Der Prozess Schönerer. Ein Beitrag zur österreichischen Innenpolitik in der franzisko-josephinischen Epoche/ –  (Diss.) – Wien: Universität Wien.

Whiteside, Andrew G. (1981): Georg Ritter von Schönerer. Alldeutschland und sein Prophet/ – Graz, Wien, Köln: Verlag Styria.

Wladika, Michael (2005): Hitlers Vätergeneration. Die Ursprünge des Nationalsozialismus in der k.u.k. Monarchie/ – Wien, Köln, Weimar: Böhlau Verlag.

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